
Wir bauen zwar keine neuen Fahrradwege, aber wir sorgen dafür, dass Fahrradfahren sicherer wird

Wir bauen zwar keine neuen Fahrradwege, aber wir sorgen dafür, dass Fahrradfahren sicherer wird
Fröhlich öffnet mir Julia die Tür zu dem kleinen schönen Atelier. Trotz des grauen Tages scheint hier drinnen beinahe die Sonne. Das liegt zum einen natürlich an Julias und Antonias freundlichen Empfang und auch an den vielen bunten Farben, die diesen schönen gemütlichen Raum leuchten lassen.
Im Fenster entdecke ich einen Stoffhund mit bunter Weste – ist er der Namensgeber des „Bunten Hundes“? Ich vergesse danach zu fragen. Denn schon bin ich mittendrin im Geschehen. Antonia kam nur ein paar Minuten vor mir vom Hundetraining mit ihrem echten Vierbeiner zurück. Mit Fahrrad und passender Weste, ist sie noch etwas außer Atem und doch schon direkt im Einsatz. Jeder Handgriff sitzt. Fast wie durch eine Choreographie geleitet, die nur die beiden kennen, bewegen sie sich durch den Raum – vom Schneidetisch zur Nähmaschine, an der ein paar Nähte gemacht werden, weiter zum Bügeleisen, wo kleine Dreiecke in Form gebracht werden, wieder zurück zum Zuschneidetisch, an dem nun eine Weste liebevoll verpackt wird.
Ohne Schnick-Schnack und Konfetti
Wie sie verpackt wird, ist für beide wichtig. Sie geht in einem Briefumschlag auf Reisen, ganz ohne Schnickschnack und Konfetti. Denn das ist ihnen wichtig. Nachhaltigkeit fängt nicht nur bei den Stoffen an, sondern gehört auch dazu, wie die Produkte verpackt und versendet werden. Nämlich ohne unnötige Verpackungsmaterialien. „Natürlich finde ich es auch schön, etwas auszupacken, das noch schön in Seidenpapier verpackt ist, aber nachhaltig ist es eben nicht. Und das ist es ja, wofür wir stehen.“, sagt Julia. „Ich gehe ja nicht einfach so mit meinen Stofftaschen auf dem Markt zum Einkaufen, um dann im Laden alles in Plastik zu verpacken.“
Nachhaltigkeit ist etwas, was für Beide nicht nur in ihrem Business wichtig ist. „Es gehört irgendwie zu unserer DNA“, antwortet Antonia auf meine Frage, ob sie sich bewusst, für ein nachhaltiges Produkt entschieden haben. Die Idee entstand, als Antonia vor einigen Jahren selbst auf der Suche nach einer Weste war und keine gefunden hat, die ihr passte und ihre Ansprüche erfüllte.
Manchmal gibt es Dinge, von denen man nicht gewusst hat, dass man sie will und kann
Sie hat diese Idee nach einer Ausbildung zur Maßschneiderin entwickelt und damit den Sprung in die Selbständigkeit gewagt. „Ich hätte mir früher, als ich noch angestellt war, nie vorstellen können, mich selbständig zu machen. Aber irgendwann hat sie es dann doch gewagt. Die Alternative zur Selbstständigkeit war nicht sehr verlockend. Ein Weg wäre gewesen, in der Industrie als Schnittdirektrice zu arbeiten. Das kam für Antonia nicht in Frage, weil sie nicht für ein Unternehmen arbeiten wollte, dass im Asiatischen Raum und zu Bedingungen produziert, die nicht ihren Werten und Überzeugungen entsprechen. Also riskierte sie den Schritt sich selbständig zu machen und begann damit Nähkurse zu gegeben, Maßanfertigungen zu machen und eben die ersten Warnwesten.
Die Selbständigkeit fand sie von Beginn an cool. Zu der Zeit sagte sie aber: Selbständig ja, aber keinen eigenen Laden.“ Und lacht. Jetzt haben sie einen und sie happy damit. „Manchmal gibt es Dinge, von denen man nicht gewusst hat, dass man sie will und kann.“
Was als kleine Idee entstand, entwickelt sich immer weiter und weiter. Wichtig war, dass ihre Westen in Deutschland produziert werden und nun ist es endlich soweit, dass sie auch aus recycelten Materialien entstehen können.
Westen für Menschen und Hunde gehören zu ihrem kleinen und feinen Shop-Angebot. Und sie sind ständig auf der Suche nach weiteren Produkten, die ihr Sortiment erweitern. Aber wichtig ist, dass sie nachhaltig sind und fair produziert. Denn so ein Produkt herzustellen, hat nicht nur etwas mit den Rohstoffen zu tun, auch durch wen es produziert wurde und unter welchen Bedingungen, ist für sie wichtig.
Darüber denken beide gerade verstärkt nach. Denn Julia erwartet ihr zweites Kind und wird einige Monate in die Babypause gehen. Für diese Zeit brauchen sie Unterstützung. „Am liebsten würden wir natürlich jemanden einstellen, der sozialversichert ist. Also nicht nur eine 450,- Euro-Kraft. Es wäre uns schon wichtig, wenn dieser Mensch dann auch von seiner Arbeit leben kann und sozial abgesichert ist. Für kleine Unternehmen, wie das von Antonia und Julia ist es jedoch eine Frage der Wirtschaftlichkeit.
Sie wünschen sich generell ein Umdenken. „Es gibt so viele Berufsgruppen, die für ihre Arbeit nicht entsprechend entlohnt werden.“ Etwas, das die beiden sich anders wünschen würden.
Was wäre noch alles möglich?
Es gibt so viele großartige Ideen, die oft nicht Wirklichkeit werden, weil es an den finanziellen Möglichkeiten scheitert. Was könnten Wege sein, wie solche Projekte noch mehr unterstützt werden könnten, frage ich mich. Ich denke, dass ich schon in vielen Bereichen meines Lebens, bewusst konsumiere, aber bei weitem noch nicht überall. Manchmal ist es einfacher, schnell im Supermarkt einzukaufen und dabei unnötige Verpackungen in Kauf zu nehmen. Aber ist es wirklich die Zeit oder manchmal auch Bequemlichkeit? Was wäre, wenn ich noch konsequenter über mein Kaufverhalten nachdenke? Was wäre noch alles möglich?
Beginnen können wir nur bei uns. Und dann vielleicht als Vorbild voran gehen. Antonia und Julia nehme ich mir zum Vorbild. Und ich denke, sie sind es sicher auch für viele andere. Zwei Frauen, die auch manchmal die unbequeme Seite der Selbständigkeit in Kauf nehmen, weil sie ihre Träume wahrmachen und leben wollen, dabei auch auf einiges verzichten, sich dabei aber selbst treu bleiben und sich selbst verwirklichen und ihre Philosophie, mit der sie durchs Leben gehen.
Etwas bewirken und Sinnhaftes tun
Einen sicheren und gut bezahlten Job bei der Stadt aufzugeben, erfordert auch Mut. Zu wissen, wofür man es tut, war sicher hilfreich dabei, als Julia diese Entscheidung getroffen hat. „Ich möchte etwas bewirken und etwas Sinnhaftes tun.“ Dieser Gedanke half Julia 2021 sicher auch dabei, dem Angebot von Antonia zu folgen und mit ihr gemeinsam das gemeinsame Business aufzubauen. Die Aussicht auf einen schönen Job-Alltag und darauf, einen sinnvollen Beitrag zu leisten, war sicher auch entscheidend. „Wir bauen zwar keine neuen Fahrradwege, aber wir sorgen mit unseren Westen für mehr Sicherheit von Radfahrern. Die Menschen fühlen sich sicher und gesehen. Von unseren Kundinnen und Kunden hören wir oft: Endlich gibt es die auch in schön. Dann ziehe ich sie auch jeden Tag an.“
Wie schön ist es, wenn man ein Produkt entwickelt und produziert, was so viel Sinn macht und dabei das Ergebnis sieht.
Das Leben sinnhaft und bewusst zu gestalten, ist auch ein Grund, weshalb sich Julia und ihr Mann für das Leben in einem Wohnprojekt entschieden haben
„Ich habe so viel gelernt und mich dadurch auch weiterentwickelt. Gerade der Austausch mit verschiedenen Generationen, vor allem auch mit älteren Frauen, ist mir wichtig. Und auch Meinungen von anderen Menschen zu hören, die nicht meinen Überzeugungen entsprechen, aber mit denen ich sonst nicht hören würde, weil ich in meiner eigenen Bubble leben würde, sind ebenso wichtig. Hierbei über mich und andere zu lernen und darüber, welche Überzeugungen ich vertrete und auch was andere bewegt, ist ein riesengroßer Gewinn.“
Ich fühle mich wohl in diesem Atelier, das für so viel mehr steht. Es ist nicht nur Produktionsstätte der bunten Westen, es ist auch Produktionsstätte vieler Ideen rund ums Leben, des Zusammenlebens, ein Ort schöner und nachdenklicher Gespräche, ein Ort, Lösungen zu finden und des gegenseitigen Mutmachens. Es ist ein inspirierender Ort voller Möglichkeiten. Ein Ort mit zwei großartigen Frauen, die Farbe in die Welt bringen.