
Schokuhminza – Ein Lebenshof

„Eigentlich hat Tobi auch mich befreit.“
Ein Satz von Angelina, der mich sehr berührt. Und er zeigt so gut, dass Tierschutz etwas ist, das auf Herzensebene stattfindet.
Dass das, was wir geben, auf andere Weise zu uns zurückkommt. Ganz uneigennützig, aus Liebe, aus einer Selbstverständlichkeit heraus, einfach etwas tun, was sich richtig anfühlt. Und manchmal sind einige Tierschutzprojekte beinahe durch Zufall entstanden – weil es einen Moment gab, wo einem etwas „zugefallen“ ist. So wie Tobi, das erste Rind, das Angelina befreit hat und durch den das Projekt und der Lebenshof „Schokuhminza“ entstanden sind.
Vom Nutztier zum Sinnstifter
Acht Jahre ist es her, dass Angelina als Tierschützerin unterwegs war, um Menschen über Tierhaltung und den Schutz der Tiere zu informieren. Und weil von einigen Menschen die Antwort kam: „Ich esse wenig Fleisch und wenn dann nur vom Biobauern um die Ecke“, dachte sich Angelina, „Dann schau ich doch mal beim Biobauern um die Ecke.“ Das hat sie auch getan. In einem eigenen Artikel berichtet sie von diesem Besuch. In einer Ecke stehend und festgebunden stand ein kleines Kalb, das laut Bauer „mit krummen Beinen geboren war.“ Und deshalb nicht gut laufen konnte. Sie postete die Bilder davon und Menschen sagten. „Du musst es befreien“.
Zu der Zeit arbeitete Angelina noch an der Uni und träumte von einem eigenen Lebenshof. Und dann ging alles sehr schnell. „Ich war überrascht, wie viele Menschen mir voller Vertrauen spontan und unaufgefordert Geld zur Rettung von Tobi überwiesen.“ Und so wurde er befreit und er durfte 7 glückliche Jahre in Freiheit verbringen, bis zum Oktober 2024, wo Angelina ihn gehen lassen musste.
Aber die Jahre, die er hatte, lebte er in Freiheit, ohne einen Nutzen für uns Menschen zu haben. Nicht als Nutztier zu dienen.
Und doch hatte Tobi einen Nutzen. Allein, dass es ihn gab und er sein Leben leben konnte und er durch sein Sein der Beginn dieses großartigen Projektes war und so wie Angelina sagt, auch sie befreit hat.
Mit Verantwortung, Vertrauen und Ideenvielfalt die Welt mitgestalten
„Ich kann durch dieses Projekt ein komplett erfülltes Leben führen.“ Es ist für Angelina eine so sinnerfüllte Arbeit und entspricht ihren Werten von Freiheit und Gerechtigkeit. Die Welt so zu gestalten, wie es ihr gefällt und den Tieren ein schönes Leben zu ermöglichen. Und natürlich bedeutet das auch eine große Verantwortung zu übernehmen. Vor allem auch die Finanzierung dieser Projekte sicherzustellen. Davor habe ich einen so großen Respekt. Denn Menschen, die sich für den Tierschutz engagieren und Lebenshöfe aufbauen, sind meist von Spenden abhängig. Und zum Glück gibt es immer wieder Unterstützer, die mit ihren Spenden diese Projekte ermöglichen. Noch hilfreicher sind jedoch Patenschaften, weil damit einfach besser kalkuliert werden kann und weniger schlaflose Nächte durchstanden werden müssen. Vertrauen spielt hierbei oft eine große Rolle, in Menschen, ins Leben und die eigene Kraft und Ideenvielfalt. Angelina ist sehr verantwortungsbewusst. Sie überlegt genau, ob sie ein weiteres Tier aufnehmen kann und die Versorgung für das Tier und alle anderen sichergestellt ist. Angelina entwickelt deshalb auch weitere Ideen. Sie möchte Kooperationen mit mittelständischen Unternehmen eingehen, die Projekte wie diese, langfristig unterstützen. Als Ausgleich haben diese Unternehmen ein Projekt vor Ort und nicht irgendwo in der Welt und dadurch eine viel stärkere Verbindung zu dem jeweiligen Projekt. Auch können Teambildungs-Events auf dem Hof stattfinden.
Eine weitere Finanzierungsmöglichkeit ist ihre Beratung. So ist sie inzwischen auch Expertin für Rinder „Haltung“ und berät Bauernhöfe, welche die Umstellung von Nutztierhöfen zu Pensionshöfen planen. Also Tieren Platz bieten möchten, wo diese ihren Lebensabend verbringen können. Rinder von Kollegen zum Beispiel, die ältereTiere abgeben oder den gesamten Hof aufgeben wollen. Diese Plätze sind Lebensplätze, wo die Tiere einfach entspannt und ohne Aufgaben ihren Lebensabend verbringen dürfen. Auch hierzu finden sich auf der Seite von Schokuhminza weitere Informationen. Angelina berät, unterstützt und zertifiziert mit ihrem Team deutschlandweit diese Höfe.
Dieser Hof bedeutet Freiheit
Normalerweise können Kühe ca. 20 Jahre alt werden. Viele von ihnen werden jedoch nur 5 oder 6 Jahre. Selbst wenn sie als Kälbchen, so wie Findus, schon zu Angelina gekommen sind.
Findus ist ein beeindruckendes großes Tier. Als ich mit Angelina auf die Weide gegangen bin, fiel er mir sofort auf. Er überragte alle anderen um mehrere Zentimeter. Ich liebe Tiere, habe aber auch einen riesen Respekt vor ihnen. Vor ihnen als Lebewesen sowieso und auch vor ihrer Kraft und Stärke. Und wenn dann eine Gruppe imposanter Tiere vor einem stehen, dann rast das Herz doch etwas schneller. Aber das Gefühl, mitten zwischen ihnen zu sein, ist gleichzeitig auch unglaublich beglückend. Diese Tiere sind an Menschen gewöhnt. Aber bitte Vorsicht. Fremde Kühe auf der Weide verhalten sich noch mal anders, hier sollte man nicht auf die Idee kommen, sich mal einfach so dazwischen zu stellen. Denn selbst hier, auf dieser geschützten Weide, bin ich froh, Angelina an meiner Seite zu haben und wäre bestimmt nicht alleine auf die Weide gegangen. Ist ja irgendwie auch das Wohnzimmer und Zuhause der Rinder.
Und das ist ein unglaublich schönes Zuhause. Hier stehen Bäume und bilden ein kleines Wäldchen mit Schattenplätzen und Schutz vor Regen und Wind. Es gibt saftiges Gras und ganz viel Weite. Es ist ein so schöner Ort, der sehr beruhigend wirkt. Und das liegt vor allem auch an den Tieren. Denn als ich später neben Alwin und Findus saß, erinnerte ich mich daran, dass Tiere einen großen Einfluss auf das Herz-Kreislaufsystem eines Menschen haben – eine sehr beruhigende Wirkung.
Melina eine ehrenamtliche Mitarbeiterin von Angelina, sagt mir, dass sie auch deshalb so gern hierherkommt. Es gibt ihr einfach Ruhe. Und dabei gehört zu den Aufgaben auf dem Hof nicht nur das Streicheln der Kühe. Vor allem auch das Ausmisten und neu einstreuen erfordert körperlichen Einsatz. Ich darf an diesem Tag diese Aufgabe miterleben und bin beeindruckt.
Der Rote Faden
Heute haben sich drei ehrenamtliche Mitarbeitende abgemeldet, weshalb unser Gespräch „nebenbei“ stattfindet. Für mich aber ganz schön, weil ich Angelina in Aktion erleben darf und live miterlebe, wie der Tag auf dem Hof beginnt. In dem Moment beschließe ich, dass ich auf jeden Fall wiederkomme und dann gern auch mitarbeite.
Ist es körperlich anstrengend? Ja. Ist Angelina dankbar für jede Unterstützung? Ja. Macht es sie glücklich? Auch das ganz klar ja. Und dann erzählt sie mir, auf eine Forke gestützt und glücklich lächelnd: „Früher fand ich zum Beispiel den Winter nicht schön. Aber jetzt, wo ich den Hof habe, bin ich jeden Tag draußen und merke, so dunkel und nass ist das gar nicht.“ Und lacht. „Aber das ist die Wahrnehmung, wenn man so wie früher jeden Tag im Büro sitzt und abends im Dunkeln nach Hause kommt.“
Hof bedeutet für sie Freiheit und ist genau das, was Angelina immer wollte und was vielleicht auch irgendwie vorbestimmt war. Denn es gibt einen roten Faden. So hat ihre Mutter früher schon ehrenamtlich im Tierheim gearbeitet und Angelina hat sie als Kind begleitet. In den Ferien hat Angelina beim Tierarzt gejobbt. Und schon mit 8 hat sie den 3-jährigen Dackel vom Nachbarn gerettet, weil er wegen Epilepsie eingeschläfert werden sollte. Sie entschied, der kommt zu uns und auch, wenn der ihren Bruder manchmal zähnefletschend auf Abstand hielt und ihr Papa scherzhaft sagte, mit der „dicken Wurst“ nicht Gassie gehen zu wollen, so setzte sich Angelina durch und der Dackel blieb. 18 wurde er, hatte keine epileptischen Anfälle mehr, weil sie die Ernährung umstellte und er sich mehr bewegen konnte. Dieser starke Wille verbunden mit dem Wert Gerechtigkeit ist wahrscheinlich eine gute Voraussetzung für das, was das Leben so für Angelina geplant hatte. Vielleicht auch, was Angelina unbewusst geplant hatte, als Tobi vor ihr stand. Sie sagt selbst: „Ich war ja einfach irgendwie da. Die Leute haben gesagt, probiere es doch mal.“ Und allen Widrigkeiten und Schwierigkeiten zum Trotz, hat sich Angelina doch dafür entschieden, den Verein zu gründen und sagt heute. „Das macht einfach alles total Sinn.“
Um diesen Sinn zu erkennen, dafür muss man nur in die Augen der Kühe schauen und die einzelnen Geschichten dazu hören. Diese wundervollen Lebewesen sehen und erleben. Die Unterschiedlichkeit ihrer Persönlichkeiten und das Leuchten in den Augen von Angelina sehen, wenn sie neben Alwin auf der Wiese sitzt und erzählt, wie er auf ihren Hof gekommen ist. Am Tag als Tobi eingeschläfert werden musste, weil seine Gesundheit keine andere Möglichkeit mehr zuließ, bekam sie am Abend eine Nachricht mit Fotos von einem Hof, wo die Besitzerin Lebenshöfe für die dortigen Kühe suchte. Einige Tage später fuhr Angelina dort hin. Der Bauer wollte aus Altersgründen seinen Hof aufgeben.
Seine Schwester, die sich schon lange vegan ernährte, aber das nur eine kleine Info am Rande, hat sich vorgenommen, dass sie alle 63 Rinder an Lebenshöfe vermitteln würde. Kleiner Spoiler vorab – Es ist ihr gelungen. Alwin war einer davon. Und als Angelina ihn sah, war klar, dass er auf ihren Hof kommen durfte. Er erinnerte sie so sehr an Tobi, die Augen, die kleine Haar-Palme auf dem Kopf und die puscheligen Ohren – all das, was Tobi so besonders machte, brachte Alwin auch mit. Und vielleicht machte Alwin die Trauer um Tobi etwas erträglicher.
Und nicht nur Menschen trauern. Auch Tiere haben Gefühle. Warum auch nicht, sie sind ja lebende Wesen. Jeder der ein Tier in seinem Umfeld hat, wird die Gefühle seines Tieres kennen und mit ihm kommunizieren können. Und so trauerte ganz besonders Findus um Tobi, weil die beiden eine besonders starke Verbindung hatten. 4 Monate dauerte diese Trauerphase an, wo Findus. weniger aß, sich von der Herde zurückzog und in sich gekehrt war. Seit einigen Wochen ist er wieder zurück im Leben. Und hat im Mai sogar seinen 6. Geburtstag feiern können. Ein wirklicher Grund zum Feiern, denn seine Prognose waren maximal 2 Jahre. Durch Überzüchtungen für mehr Milchleistung werden immer mehr gesundheitliche Beeinträchtigungen in Kauf genommen. Die Beine sind nicht dafür ausgelegt, so viel mehr an Körpergewicht und Höhe zu tragen. Der ganze Organismus ist nicht dafür ausgelegt 50 Liter Milch pro Tag produzieren zu müssen.
Nachdenklich
Früher haben die Kühe 10 Liter Milch am Tag gegeben. Inzwischen sind es 50 Liter. Eine unvorstellbare Zahl. Was zu Überzüchtungen und damit zu gesundheitlichen Einschränkungen führt. Damit Kühe Milch geben, müssen Kälbchen geboren werden. Doch nicht alle Kälbchen bleiben auf dem Hof. Sie werden zu Sammelstellen transportiert und die meisten davon werden direkt „entsorgt“. Angelina´s Worte kommen ohne Vorwurf, ohne Wut oder Anklage. Sie kommen als Information und mich erreichen sie und bringen mich zum Nachdenken. Endlich auch den nächsten Schritt zu machen und auch auf Milchprodukte zu verzichten.
Einige dieser Kälbchen hatten Glück. Sie sind gerettet worden. Hier auf diesem Hof haben die Rinder ein glückliches Leben. Sie können frei entscheiden, ob sie auf der Weide stehen, sich einen Platz im Schatten der Bäume suchen, sich im Zelt unterstellen oder hinunter zum Stall gehen. Aber da stehen sie gar nicht so gern. Rinder sind ähnlich wie Rehe – sie stehen gern im Wald und auf Lichtungen. Sie brauchen die Weite und das Licht. Sie sind Weichbodengänger und bevorzugen Erde und Gras unter den Hufen und sie brauchen andere Rinder um sich herum, denn sie sind Herdentiere. In den Stall gehen sie nur, wenn es sehr heiß, sehr kalt oder Unwetter ist, ansonsten sind sie am liebsten unter freiem Himmel.
„Als Tobi das erste Mal draußen gelaufen ist, sich den Himmel angeschaut hat, hat er richtig tief eingeatmet. Da wusste ich, das mache ich immer wieder, egal was ist.“, sagt mir Angelina und ich kann spüren, wie besonders beglückend dieser Moment gewesen sein muss.
Dieser Ort ist etwas ganz Besonderes. Und so fahre ich mit einem ganz beseelten Gefühl die zwei Stunden mit dem Auto in Stille nach Hause. Habe das Radio ausgemacht, ein Lächeln im Gesicht und bin unglaublich dankbar für diese Begegnung.
Möchtet ihr gern dieses Projekt unterstützen? Das ist ganz leicht über die Seite www.schokuhminza.de. Kennt ihr Unternehmen, die Interesse an einer Kooperation haben, schreibt es gern Angelina. Und wenn ihr Fragen habt, meldet euch auch sehr gern bei mir.